Die Feministinnen sind an allem schuld
Diesen Text schrieb ich vor 12 Jahren anlässlich des 100. Jubiläums des Frauentages am 8. März. Der Text ist auch am 112. Geburtstags des Frauentags aktuell. Es geht darin um den Irrglauben, dass die bewegte Frau den Mann ins Unglück gestürzt habe.
Hundert Jahre Frauentag – und wo stehen die Frauenrechtlerinnen und Feministinnen heute? Am Pranger. Wie sind die da nur wieder hingekommen?
Wirst du gefragt, ob du ne Feministin bist, sag lieber nicht „ja“, wenn du in keiner Schublade landen willst. Denn derzeit haben Feministinnen einen schlechten Ruf. Feministinnen, das sind die, die den Eros vom Sockel gefegt haben. Feministinnen, das sind die, die die Männer ins Unglück stürzen, weil sie Mädchen einreden, dass sie missbraucht wurden.
Feministinnen, das sind die, die die hohen Scheidungsraten zu verantworten haben, weil sie den Gattinnen zuflüstern, dass sie unglücklich seien mit ihren Männern. Die niedrige Geburtenrate und der demografische Wandel gehen ebenfalls auf ihr Konto. Feministinnen, das sind die, die Karrierefrauen den Erfolg neiden.
Verantwortlich dafür, dass Mädchen jetzt zuschlagen und Jungs schlecht sind in der Schule, sind sie auch. Feministinnen haben keinen Humor. Und Feministinnen, das sind die, die dafür gesorgt haben, dass Mädchen Pink lieben, weil sie so sehr dagegen gewettert haben, dass Mädchen Pink lieben.
Quellen für die Thesen gefällig? Kein Problem: Die finden Sie in der taz.
Ha, gehts noch?
Rückblende
Rücklauftaste drücken, brrrrröorrröorrüp. Das Jahr 1911: Frauen dürfen nicht wählen. Frauen dürfen nicht habilitieren. Frauen dürfen nicht abtreiben. Unverheiratete Mütter sind gesellschaftlich nicht geschützt. Verheiratete Frauen dürfen ohne Erlaubnis der Gatten nicht arbeiten. Über die Finanzen bestimmt er. Seinen Namen tragen die Ehefrauen. Frauen müssen in der Ehe gehorsam sein. Bei nicht einvernehmlichen Scheidungen liegt die Schuld bei der Frau. Das Sorgerecht für Kinder haben die Väter. Lehrerinnen dürfen nicht verheiratet sein.
Zusammenfassung Frau 1911: Zierde, Haussklavin, Gebärmaschine, Arbeitstier, Muse. Sicher, Ausnahmen gibts immer. Sie zeigen, dass es auch anders sein kann. Besser, freier womöglich.
Damit sich der Status quo damals änderte, mussten zornige Mutbürgerinnen gegen die Unterdrückung protestierten. Denn freiwillig verzichten nur Masochisten aufs Paradies. Danke, ihr Frauen, ihr Ururgroßmütter, Urgroßmütter, Großmütter für eure Widerständigkeit.
Ihr habt den Männern gesagt, dass Ungleichheit Unrecht ist. Ihr wusstet, dass eine ungleiche Gesellschaft allen schadet – denen, die bestimmen, und denen, die gehorchen müssen. Weil Ungleichheit das Denken korrumpiert.
Schnellvorlauf
Vorlauftaste drücken, brrrrröorrröorrüp. Das Jahr 2011: Vor dem Gesetz sind Männer und Frauen gleich. Dass es auch im Alltag so ist, darum wird seit Jahrzehnten gerungen. Denn ja, es ist ein langer Weg von der Standesehe zur Sichtbarkeit von lesbischen Frauen, die sich heiraten können.
Ja, es ist ein langer Weg vom Ausschluss lediger Mütter aus der Gemeinschaft hin zu einer Gesellschaft, in der ein Drittel der Mütter unverheiratet ist.
Ja, es ist ein langer Weg von der Frau, deren Erwerbstätigkeit von der Not oder dem Einverständnis des Mannes diktiert wird, hin zur berufstätigen Frau.
Ja, es ist ein langer Weg von der erlaubten Züchtigung der Gattin hin zur verbotenen Vergewaltigung in der Ehe.
Hat es der Gesellschaft geschadet?
Viel Herzblut von Frauen ist die letzten hundert Jahre in die Gleichberechtigung geflossen. Alles könnte so gut sein.
Und nun der Schock: Irgendwas stimmt nicht. Bei der Zusammenfassung „Frau 2011“ schimmert „Frau 1911“ durch. Die Zierde heißt jetzt Model, die Haussklavin jetzt Sexobjekt, die Gebärmaschine ist zur Doppellastenträgerin geworden, das Arbeitstier zur Hartz-IV-lerin oder Quotenfrau und die Muse zu Merkel.
Und Bascha Mika sagt, die Frau ist feige.
Suchlauf
Das alles erklärt nicht, warum nun plötzlich ausgerechnet die Feministinnen schuld sein sollen am sexuellen Missbrauch und an den schlechten Ergebnissen der Jungen in der Schule. Schuld sein sollen an den geschiedenen Gatten, den gewalttätigen Mädchen und der Farbe Pink.
Aber warum bringen Heerscharen von Buchautoren und Artikelschreibenden so viel Energie auf, genau solche Behauptungen in die Welt zu setzen? Und was sagt es über eine Gesellschaft, wenn sie diese Behauptungen goutiert, als handelte es sich um den allerletzten Stein der Weisen?
Es ist notwendig, ein wenig vor- und zurückzuspulen, um die Antwort zu finden. Und die Antwort lautet: Furcht. Es darf nicht verstanden werden, dass Model, Sexobjekt, Doppellastenträgerin, Hartz-IV-lerin, Ouotenfrau und Merkel nicht der siebte Himmel der Emanzipation ist, in den wir Frauen wollten.
Nein, nein, es ist ein Emanzipationsvorhof und für manche eine Emanzipationsvorhölle. Käme das raus, ginge es der Wirtschaft und den Männern schlechter.
Wer aber wäre in der Lage, das rauszuschreien? Die Feministinnen! Deshalb müssen sie im Zaum gehalten und mundtot gemacht werden. Wie? Durch Manipulation. Indem man Nebenschauplätze aufmacht und die Feministinnen mit absurden Behauptungen diskreditiert. Solange sie damit beschäftigt sind, das Gegenteil zu beweisen, kann der Rest der Gesellschaft in Ruhe an Model, Sexobjekt, Doppelbelastung, Hartz IV, Quote und Merkel weiterdrehen. Feministinnen sollen sich mit grandiosem Blödsinn beschäftigen, damit alles bleibt, wie es ist.
Der Trick mit dem Ablenken ist eine Falle. Geh ich zum Chef und sag: „Ich will mehr Mitsprache und mehr Geld“, antwortet der: „Was haben Sie da für einen Fleck im Gesicht, sind Sie krank?“ „Äh, wo ist ein Fleck? Vorhin war da noch keiner. Entschuldigen Sie, kann ich mal in den Spiegel schauen …“
Hallo, nicht ablenken lassen. Mit einem Blick in den Spiegel darf dieser Artikel nicht enden. Es ging um Mitsprache und Geld. Es ging um Zähnezeigen. Es ging um mutige Frauen. Es ging um widerspenstige, zornige Frauen, ja Feministinnen. Ich liebe sie. Sie können gar nicht zornig genug sein. Nur so wird sich was ändern. „Mutbürgerinnen, bravo!“ Applaus. „Encore, encore!“
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Der 8. März
Die Sozialistin Clara Zetkin hatte auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz am 27. August 1910 in Kopenhagen einen internationalen Frauentag vorgeschlagen, um so der Forderung nach dem Frauenwahlrecht Nachdruck zu verleihen. Deutsche Frauen dürfen seit 1918 wählen. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gibt es über hundert Jahre später immer noch.