Gestrandet in der Staatenlosigkeit

Es gibt Novellen, die sind wie neue Musik. Ihre Magie entfalten sie erst, wenn man sie mehr als einmal liest. Der von den Nazis ins Exil getriebene Komponist Ernst Krenek hat so eine geschrieben. „Die drei Mäntel des Anton K.“ lautet der Titel. Sie handelt von Menschen, die ihre Existenz beweisen müssen.

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Die Geschichte ist eine Fuge, der Text ist Musik. Da ist ein Mann, Anton K. heißt er, der immer wieder Ähnliches erlebt. Mit jeder Episode, die sich wiederholt, taucht das Motiv, leicht verändert, erneut auf. Anton K.s Mantel wird vertauscht. Die Mäntel sehen gleich aus, der Inhalt in den Taschen jedoch variiert. Jeder neue Mantel, den sich Anton K. überzieht, wirft ihn auf den Anfang zurück.

Eine Serie von imitierten Abläufen kennzeichnet eine Fuge. Dort wird ein musikalisches Thema in verschiedenen Stimmen zeitlich versetzt wiederholt. „Die drei Mäntel des Anton K.“, so lautet der Titel der Geschichte, ist genau das. Das gleiche Thema, verschiedene Stimmen, die meisten förmlich und kalt.

Ernst Krenek, der Autor dieser kurzen Novelle, ist mehr als Komponist bekannt denn als Schriftsteller. In seinen Werken arbeitete er sich durch den Musikgeschmack des 20. Jahrhunderts. Stark ist bei ihm vor allem das Atonale, das Zwölftönige. Seine Musik geht erst bei wiederholtem Hören unter die Haut, denn da ist oft auch sperrige Intellektualität.

Wer diese Novelle liest und sich von den Stimmen des Textes wegtragen lässt, hört beim Lesen so etwas wie Musik, so etwas wie Endlosvariationen, denn obwohl die Novelle nur 60 Seiten umfasst, sind es Tage, die da vorbeiziehen mit dem Immergleichem. Mit Warten. Mit Besuchen auf der Behörde. Mit Eingaben, die nirgendwohin führen. Es ist kafkaesk und die Anspielung auf Kafkas Romane mit all ihren ausgelieferten Protagonisten der Weltliteratur ist ebenfalls Absicht.

Anton K. – der Anfangsbuchstabe des Nachnamens ist vermutlich nicht zufällig gleich mit dem von Krenek – sieht aus der Ferne mit an, wie sein Land von der Landkarte verschwindet. Der Pass aber, den er besitzt und dessen Staatsbürger er ist, stammt aus dem Land, das es nun nicht mehr gibt. Anton K. ist gestrandet in der Staatenlosigkeit und muss nun von Pontius zu Pilatus laufen, um an irgendwelche Papiere zu kommen, die die Vertreter der Bürokratie von ihm verlangen, damit er nachweise, dass er existiert.

Ein aussichtsloses Unterfangen, wie sich herausstellt, denn die Bürokratie, das erklärt ein Diplomat Anton K. ganz zum Schluss, habe eine Existenzberechtigung in sich selbst. Die unter ihr stehenden Menschen werden gelenkt, nein gegängelt, wie Marionetten an Strängen.

Die Novelle„Die drei Mäntel des Anton K.“ hat einen autobiografischen Hintergrund. Es ist die Verarbeitung von Ernst Kreneks eigener Odyssee. Der 1900 in Wien geborene und 1991 in Kalifornien gestorbene Komponist war von den Nazis verfemt, seine Musik galt als „entartet“. Vor allem seine Oper „Jonny spielt auf“ verkörperte Kunst, die die Nazis hassten. Jonny ist Jazzmusiker mit afroamerikanischem Hintergrund. Was der Hauptfigur Anton K. widerfährt, könnte im März, vielleicht auch im April 1938 spielen – kurz nach dem Anschluss Österreichs an Nazideutschland, weil Krenek es damals erlebte.

Von einem Tag auf den anderen nämlich hatte der Komponist, der in Paris lebte, ein Problem. Nach dem Anschluss Österreichs an Nazideutschland galt sein österreichischer Pass nichts mehr. Er hätte nach Wien fahren müssen für neue Papiere. Das wollte er aus verständlichen Gründen nicht. Hinfort saß er in der Falle der Bürokratie.

Das Buch allerdings weist weit über die selbstreferenzielle biografische Geschichte hinaus. Denn die endlosen Behördengänge und aussichtslosen Eingaben, die viele Flüchtlinge heutzutage hierzulande machen müssen, um irgendwo nur anzukommen, sind, wenn auch selbstverständlich in einem ganz anderen gesellschaftlichen Kontext, die Fortsetzung der Fluchtgeschichten aus der Nazizeit in die Gegenwart. Atonalität trifft es genau. Das macht diese kleine Novelle, die sowohl auf Deutsch und Englisch in der Neuausgabe abgedruckt ist, heute wieder so aktuell.

Und es kommt noch etwas dazu: Anton K. erzählt am Anfang der Geschichte, dass er sich für die politischen Entwicklungen in seinem Land nicht interessierte. „Im Allgemeinen“, steht da, habe er die Vorgänge in seinem Land nicht gebilligt, „doch blieb seine Haltung mehr theoretisch, er hatte weder Lust noch Anlass, sie in kämpferischer Form kundzutun, kaum dass er in maßvollen Wendungen gelegentlich zu seinen Freunden darüber sprach.“

Der Satz, wenn er denn auch biografisch ist, ist maximale Selbstkritik, die Krenek an sich übt. Gleichgültigkeit den politischen Entwicklungen gegenüber können sich nämlich nur Bürokraten leisten. Das gilt auch heute so.

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Ernst Krenek: „Die drei Mäntel des Anton K.“. Edition Memoria, Hürth 2020, 144 Seiten, 24 Euro