„Clara Zetkin würde sich im Grab umdrehen“

SCHIMPFWORT Es war nie eine besondere Auszeichnung, eine Feministin zu sein, meint die Sozialwissenschaftlerin Gisela Notz. Obwohl der Feminismus unser Denken und die Entwicklung der Gesellschaft nachhaltig beeinflusste

Waltraud Schwab: Frau Notz, im angelsächsischen Raum fing es an. Anstatt von Feminismus wurde plötzlich vom „F-Wort“ gesprochen. Beunruhigt Sie das, da man ja weiß, dass bis dato eher das Wort „fuck“ als F-Wort galt?

Gisela Notz: Ich finde es positiv, dass junge Frauen keine Scheu mehr vor dem Wort Feminismus haben.

Aber das haben sie doch, wenn sie statt des Wortes  „Feminismus“ nun das „F-Wort“ sagen.

Bloß weil das F-Wort für fuck steht? Ich sehe das nicht so.

Fuck Feminism – haben Sie das im Laufe Ihres bald siebzigjährigen Lebens nie gedacht?

Es war nie eine Auszeichnung, Feministin zu sein, aber ich habe mich immer dazu bekannt. Bis vor Kurzem haben sich junge Frauen geschüttelt bei der Vorstellung, Feministin genannt zu werden. Für sie waren Feministinnen meiner Generation nur Jammertanten, die immer noch Diskriminierung sehen, wo sie doch sicher waren, dass sie alles werden und alles sein können, was sie wollen. Es sieht so aus, als wäre diese Euphorie jetzt vorbei, aber Feministinnen wollen sie immer noch nicht sein.

Waren Sie je stolz, eine Feministin zu sein?

In der Aufbruchzeit der siebziger Jahre ja. Aber es gehört wohl zur Geschichte des Feminismus, dass das Wort für manche ein Schimpfwort ist. Während der ersten Frauenbewegung Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hätten sich Sozialistinnen und Proletarierinnen auch nie so bezeichnet. Clara Zetkin, die Sozialistenführerin, würde sich im Grab umdrehen, wenn man sie zur Feministin stempeln würde, obwohl das oft versucht wird. Sie wollte Seite an Seite mit Männern für eine Welt kämpfen, in der alle gleiche Rechte haben. Feministinnen, das waren aus ihrer Sicht die bürgerlichen Frauen.

Sie haben jetzt ein Buch geschrieben, das „Feminismus“ heißt. Ist das mutig?

Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht mal, ob ich es so genannt hätte. Der Verlag hatte zwei Vorgängerbücher – Kapitalismus und Sozialismus. Es sind Einführungen, damit Leute, die noch nie was davon gehört haben, eine Vorstellung bekommen, was das ist. Mich freut es, dass der Verlag als drittes Ismus-Buch den Feminismus vorstellt. Feminismus hat unser Denken nachhaltig beeinflusst und zur Entwicklung einer gerechteren Gesellschaft geführt, auch wenn das gerne ignoriert wird.

Was ist Feminismus genau?

In erster Linie ein historischer Begriff, der Ende des 19. Jahrhunderts auf einem Frauenkongress in Paris aufkam. Feminismus wurde Maskulinismus gegenübergestellt. Von dort soll der Begriff wie ein Lauffeuer durch die Frauenrechtsbewegung gezogen sein. Feminismus ist also kein Wort, das erst um 1970 aufkam.

Was ist Maskulinismus ?

Die Vorstellung, dass Männer naturbedingt den Frauen überlegen sind. So wird männliche Dominanz legitimiert.

Kann man dann Feminismus als Gegenteil von Maskulinismus deuten?

Ich deute es nicht so.

Wie dann?

Es gibt keine einheitliche Definition. Ich sage mal so: Feminismus heißt, dass ich Kenntnis davon habe, dass Frauen in dieser Gesellschaft – neben ihrer sozialen Schicht, Herkunft, körperlichen Besonderheiten – auch aufgrund ihres Geschlechts Diskriminierungen ausgesetzt sind. Eine Feministin erkennt das, belässt es aber nicht dabei, sondern überlegt, wie dieses Unrecht geändert werden kann. Übrigens kann auch ein Mann Feminist sein, wenn er das Unrecht, das Frauen aufgrund ihres Geschlechts erfahren, erkennt und versucht, es zu ändern.

Es gab immer ganz unterschiedliche frauenrechtliche Zugänge, wie man das Unrecht ändern könnte. Wie kommt das?

Weil unterschiedliche Gruppen von Frauen unterschiedliche Probleme haben. Ein gutes Beispiel von früher: der Kampf ums Frauenwahlrecht. In Preußen gab es ein Dreiklassenwahlrecht. Neben den Frauen konnten auch nicht alle Männer wählen. Das hing davon ab, wie viel Besitz und Ressourcen ein Mann hatte. Und da gab es bürgerliche Frauen, die die gleichen Rechte haben wollten wie ihre Ehemänner. Sie hatten aber kein Interesse, dass etwa ihre Dienstmädchen auch wählen konnten. Genau dafür hingegen kämpften die proletarischen Frauenrechtlerinnen. Sie forderten gleiches Wahlrecht für alle, unabhängig von Geschlecht und Besitzstand. Damals waren das extrem unterschiedliche Positionen. Solche Unterschiede gibt es heute auch wieder.

Wie?

Die neuen Dienstmädchen etwa. Heute gehört es fast zum guten Ton, eine Putzfrau, Haushälterin, Kinderfrau aus einem anderen Land zu haben, egal wie hoch diese qualifiziert ist. Wenn man wirklich gleiche Rechte für alle will, würde man mit dem Problem politisch umgehen und nicht glauben, indem man den qualifizierten Migrantinnen Putzjobs anbietet, die Ungerechtigkeit gemildert zu haben.

Haben Sie eine Putzfrau?

Nein.

Es gibt, schreiben Sie, auch heute viele Facetten von Feminismus. Welche?

Ökofeminismus etwa. Oder schwarzen Feminismus. Ich habe lange bei den Beiträgen zur feministischen Theorie und Praxis gearbeitet. Wir waren die führende Publikation für Feminismus, und dann kamen Frauen, die eine anderer Herkunft oder eine andere Hautfarbe hatten, und sagten: Ihr habt einen eurozentristischen Blick, was ist mit unseren Problemen? Die hatten wir wirklich zu wenig wahrgenommen. Mich hat die Auseinandersetzung mit den schwarzen Frauen nachhaltig beeindruckt.

Weil Sie merkten, dass man seine eigene weibliche Biografie nicht verallgemeinern kann?

Ja.

Welche Erkenntnis ziehen Sie aus dieser Vielfalt?

Es war immer so ein Wunschtraum, dass ein Wir-Gefühl entsteht und sich alle Frauen verbünden, um gegen Frauendiskriminierung vorzugehen. Aber das ist leider eine Schimäre.

In Ihrem Buch räumen Sie mit Irrtümern auf: etwa dem, dass Feministinnen die Frauen als Opfer sehen. Was ist die Frau aus feministischer Sicht?

Ein handelndes Subjekt.

Und die Männer, sind die aus feministischer Sicht die Antipoden, an denen sich die Feministin abarbeitet?

In der ersten bürgerlichen Frauenbewegung vor über hundert Jahren war das so. Damals haben Frauen gegen die Männer gekämpft. Sie wollten die gleichen Rechte wie Männer, und die wollten ihre Privilegien nicht abgeben. Wahlrecht, Zugang zu allen Berufen, Zugang zu den Universitäten, gleiche Erbrechte, gleiche Scheidungsrechte, gleiche Erziehungsrechte. Heute ist das vielleicht noch die Quote.

Warum hält sich der Eindruck, Feministinnen arbeiten sich auch heute an den Männern ab?

Das wird Feministinnen meiner Generation vorgeworfen, weil wir uns von den Männern separiert haben. Es ging dabei aber eher darum, sich zurückzuziehen, um eigene Thesen zu entwickeln und sich dann mit den Männern auseinanderzusetzen und im Idealfall Strukturen, die allein den Männern dienen, gemeinsam außer Kraft zu setzen.

Und wie sieht es mit jungen Frauen heute aus? Die sind auch mit Geschlechterungerechtigkeit konfrontiert, nur sehen sie die Männer nicht als Gegner.

Das liegt daran, dass viele Probleme heute nicht nur die Frauen, sondern auch Männer betreffen. Wenn ich an prekäre Arbeitsverhältnisse denke – das war lange ein Frauenproblem. Gut, zwei Drittel der Personen in prekären Arbeitsverhältnissen sind immer noch Frauen, aber ein Drittel sind mittlerweile eben Männer. Es gibt heute auch mehr Männer, die Kindererziehung und Beruf nicht unter einen Hut kriegen. Solche Entwicklungen zeigen, dass die Mann-Frau-Polarisierung nicht mehr so greift.

Sind Sie trotzdem der Meinung, dass sich feministische Positionen bis heute an Privilegien, die Männer haben, abarbeiten?

Nein. Ich würde mich an Männern abarbeiten, wenn ich forderte: Männer sollen fünfzig Prozent der prekären Arbeitsverhältnisse haben und fünfzig Prozent an der nicht existenzsichernden Teilzeitarbeit. Und die Hälfte der unbezahlten Pflegearbeit im Altenbereich sollen sie bitte schön auch noch machen. Kompletter Blödsinn ist das.

Was sagen Sie stattdessen?

Dass die prekären Arbeitsverhältnisse abgeschafft gehören.

Wie sähe Geschlechtergerechtigkeit denn wirklich aus?

Eigentlich ist die Zielvorstellung von jungen Frauen, die die Trennungslinie zwischen Männern und Frauen nicht mehr sehen wollen und sagen, es ist egal, ob ich als Mann oder Frau irgendwohin komme, auch meine. Aber die Tatsachen sind nicht so. Nehmen Sie die Piratenpartei in Berlin. Die Piraten dort sagen, es sei egal, dass wenig Frauen bei ihnen sind, Frauen seien sowieso nicht so computeraffin – also schon diskriminiert -, und alle Piraten seien eh queer, sprich jenseits der Geschlechtergrenzen. Als Zielvorstellung finde ich queer toll, aber heute ist es eben so, dass Frauen zwar die besseren Schul- und Uniabschlüsse haben, aber dann gehen sie irgendwo verloren. Und meist nicht mal am Wickeltisch, sondern weil sie keine Chance haben, sich in den Berufen zu etablieren.

In Ihrem Buch kritisieren Sie die Medien, die stark zum negativen Image von Feminismus beigetragen haben. Warum glauben Sie das?

Als ich jung war, gab es die alten Jungfern, und keine wollte eine sein. So ähnlich geht es den Feministinnen heute. Sie stellen einen Status quo, der eigentlich nicht verändert werden soll, infrage. Die Papa-Mama-Kind-Logik etwa. Dafür straft man sie ab.

Hängt das schlechte Image in den Medien auch mit Alice Schwarzer zusammen?

Ich finde es ärgerlich, dass Alice Schwarzer so hochstilisiert wird, als ob die ganze Siebziger-Jahre-Frauenbewegung einschließlich dessen, was danach kam, an ihr hinge. Und Alice Schwarzer weist das ja auch nicht von sich.

Sodass der Eindruck entsteht, alle Feministinnen sind wie Alice Schwarzer?

Genau. 1973 hat sie eine Analyse über Frauenerwerbsarbeit vorgelegt. Die war hervorragend. 1971 die Stern-Kampagne: Wir haben abgetrieben. Hervorragend. So soll eine feministische Aktion sein. Aber der Personenkult um sie hat der Frauenbewegung eher geschadet als genützt.