Vergeblichkeit

Dieser kleine Text über meinen Vater erschien in der taz vom 20.12.2014. Mehrere Autorinnen und Autoren gingen dabei der Frage nach: Was schenken wir Vati? "Früher", so schrieben wir, "rauchten die Männer wenigstens noch Zigarre. Wenn sie eine Havanna bekamen, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Und heute? Das passende Geschenk für Väter ist und bleibt ein immerwährendes Rätsel". Hier sind meine Gedanken dazu: 

Mein Vater, Jahrgang 1923, litt an Unbeschenkbarkeit. Es eine Krankheit zu nennen, ist weit untertrieben. Vergiss Weihnachten, vergiss Geburtstage. Vergiss es einfach. Der Mann litt auch an Unzugänglichkeit, an Unansprechbarkeit und Unzuhörbarkeit. Mein Vater gehörte der Kriegsgeneration an. Sein Leben lang arbeitete er, er musste etwas gut machen. Was, sagte er nicht.

Mein Vater sprach nur vom Krieg. Er erzählte die immer gleichen Geschichten. Kannst du auch mal über was anderes reden? Konnte er nicht. Ein Stichwort reichte und es kam die Geschichte. Sag „Schmidt“. Er: „Ich kannte mal einen im Krieg, der hieß so, ein Landser wie ich.“ Sag „Melone“. Er: „Bei Odessa hab ich zum ersten Mal Melonen gegessen. Vorne auf dem Motor des Lkw haben wir sie aufgeschnitten“. Die rote Farbe hat ihn beeindruckt. Sag „Weihnachten“. Er: „An Weihnachten gab es einen extra Landjäger, ein extra Kommissbrot.“

Wer ihm eine Freude machen wollte, schenkte ihm genau das: einen Landjäger.

Er selbst schenkte immer Geld. In einem Briefumschlag, auf den er vorne drauf den Namen des Beschenkten schrieb in dieser schönen Schrift, die die Leute seiner Generation hatten, nachdem sie sich nach der Nazizeit die Sütterlinschrift wieder abgewöhnen mussten. Ich habe noch so einen Umschlag. Immer wieder finde ich ihn, fahre mit meiner Hand über meinen von ihm geschriebenen Namen und freue mich, dass Geld drin ist. Wenn ich es raus nehme, tue ich später wieder etwas rein, um es bei Gelegenheit erneut zu finden.

Einmal, zugegeben nicht an Weihnachten, sondern zu seinem 75. Geburtstag, schenkte ich ihm ein leeres Buch und einen Stift. „Für deine Geschichten“, sagte ich. „Irgendwann werden wir sie vermissen.“

Meiner Schwester, Jahrgang 65, die am gleichen Tag Geburtstag hat wie er, habe ich das Gleiche geschenkt. Plus einen Radiergummi. „Weil du Geschichte noch ändern kannst“, sagte ich ihr.

Nach seinem Tod fand ich das Buch – unbeschrieben im Wohnzimmerschrank. In seiner Nachttischschublade aber war nichts außer ein paar Herrentaschentüchern und der Entnazifizierungsurkunde. Sie war abgegriffen.